Die Schule der Liebe - Zusammenfassung
Es gibt kaum ein schöneres Bild für die Unberechenbarkeit der Liebe, als den kleinen Amor oder Cupido der griechisch-römischen Antike. Er ist der Sohn der Liebesgöttin Venus, und gemeinsam haben sie es auf die Herzen der Sterblichen abgesehen. Aber selbst vor Göttern macht die Kraft des Begehrens keinen Halt - da sind sie so machtlos wie wir. Unsere Oper erzählt von einem der größten Liebespaare der Weltliteratur, von Venus und Adonis. Allerdings versetzen wir die Geschichte in eine englische Schule um 1970 - und erzählen davon, dass es Alternativen zur tragisch scheiternden klassischen Liebe geben kann, wenn man diese nur divers genug versteht. Und nähern uns damit überraschender Weise dem Original der frühen englischen Oper an.
Cupido ist schon ein besonders gefährliches Bürschchen. Dabei sieht er so harmlos aus. Er ist ein Knabe noch vor der Pubertät, und er hat noble, göttliche Eltern: Liebesgöttin Venus und Kriegsgott Mars, also die reinsten Verkörperungen von weiblichem und männlichem Ideal, das der antike Götterhimmel zu bieten hat. Cupido hantiert mit magischen Pfeilen, die jeden, den sie treffen, nicht töten, sondern hemmungslos verliebt machen. Was allerdings manchmal auf dasselbe hinausläuft: Niemand ist vor Cupidos Angriffen gefeit, auch nicht die Götter. Denn die Liebe kann ausnahmslos jede und jeden treffen, und sie verändert alle und alles. Das ist die Kernbotschaft, die in den antiken Mythen steckt und die Ovid in seinen Metamorphosen immer wieder und wieder erzählt. Die Moral ist so klar wie zeitlos gültig: wir haben uns nicht im Griff, wir glauben es nur. Wir treffen Vorsorge und planen alles Mögliche, aber ein einziger Liebender Blick wirft alles über den Haufen.
Weil wir alle das wissen, besteht ein Großteil aller moralischer Zivilisation daraus, dem Begehren Grenzen zu setzen. Besonders die monotheistischen Religionen zeichnen sich durch Kontrolle und Verbote von Sexualität und Begierden aus. Das es aber auch anders gehen kann, zeigt die Aufführungsgeschichte von John Blows „Venus and Adonis“.
Das muss man sich erst einmal trauen. Als der König von England, Charles II., mit seinem Hofstaat auf Besuch in der altehrwürdigen Universitätsstadt Oxford weilte, wollte man dem kunstsinnigen Mann eine ganz besondere Unterhaltung bieten: eine Liebesgeschichte mit einer ganz persönliche Note. Und dazu taten sich einige Damen aus seinem Umfeld zusammen. Zuallererst Anne Finch, die Countess of Winchilsea, die von einer immensen Leidenschaft für die Dichtkunst gepackt war. Für eine Dame von Stand galt das nicht als sonderlich schicklich, zumal sie auch nicht davon abzuhalten war, poetische Liebesgedichte an ihren Mann zu veröffentlichen. Doch erstens waren sie wunderschön geschrieben, und zweitens verteidigte ihr Mann sie wo er nur konnte und ermutigte sie, ernsthaft zu dichten.
Anne Finch war hingerissen von Ovids Metamorphosen. Sie hatte ihren Mann schon als mythischen Schäfer Daphnis portraitiert, doch nun sollte jemand anderes im Mittelpunkt stehen: Mary Moll Davies, eine begnadete Schauspielerin und Kurtisane, die derzeitige Mätresse des Monarchen. Die hatte sich voll und ganz in das Herz von Charles II. gespielt und ihm sogar ein Töchterchen geschenkt, Lady Mary Tudor, zur Zeit des Ausflugs nach Oxford gerade mal acht Jahre alt. Anne Finch war klar, dass diese Konstellation eine besonders bezaubernde Entsprechung bei Ovid hat: die Schule der Liebe.
Venus, die Liebesgöttin, bringt ihrem kleinen Knaben Amor und seinen Amoretten bei, wie man am besten die schicksalshaften Liebespfeile auf das Menschengeschlecht abschießen kann. Doch dass Venus selbst Opfer einer tragischen Liebe werden würde, ahnt sie da noch nicht. Ihr geliebter Adonis, der sprichwörtlich schönste Mann der Welt, ist auf der Jagd. Dort wird er durch einen wilden Eber, in den sich der eifersüchtige Mars verwandelt hat, hinweggerafft.
Anne Finch macht aus dieser Metamorphose ein Stück, in dem die Geliebte des Königs die Venus singt und deren gemeinsame Tochter Lady Mary Tudor den Amor. John Blow komponiert für sie eine ebenso klare wie geniale Musik. Und all das wird dann tatsächlich vor Charles II. aufgeführt. Und was folgt? Kein Skandal, sondern ein Triumph. Ganz nebenbei haben die Damen mit ihrem Komponisten die erste englische Oper überhaupt auf die Bühne gebracht. Aber vor allem freuen sich die Zuschauer an der kleinen Mary Tudor, die den listigen Amor spielt. Der Höhepunkt des Stück: wenn der kleine Gott seinem ebenso jungen Gefolge beibringt, wie man Liebespfeile verschießt. So mancher wird darin die Anspielung verstanden haben, dass selbst der König von England nichts als ein Sklave der Liebe ist. Und das durch eben jene Menschen, die live genau diese Geschichte vor ihm aufführen.
Wir ergänzen das Stück von Blow in unserer Produktion um einige wunderbare Szenen aus zwei großen Semi-Operas von Henry Purcell, die fast nahtlos an das Stück von Blow anknüpfen: aus „King Arthur“ und „The Fairy Queen“. Dadurch können wir die Diversität der Szene, die sich bei Blow nur in Andeutungen finden lässt, viel klarer herausarbeiten. Cupid hat schon in der Anlage nicht-binäre Züge, in der Oper sind die Geschlechtergrenzen klar gesprengt. Da muss man gar nicht viel dazu erfinden, sondern einfach genauer hinschauen, um in der Inszenierung non binary zu thematisieren. Und wir finden eine schöne Gelegenheit, das tragische Ende des Originals in ein Happy-End zu verwandeln, das zeigt, worin ein Glück liegen kann, wenn man sich den Konventionen der Liebe verweigert und ihre alles durchdringende Macht anerkennt.